Tatjana Erpen nimmt ein Bild aus dem Internet und druckt es auf eine gewöhnliche Holzplatte. Es zeigt ein entstacheltes Kaktusblatt. Der Massstab verrät, dass es doppelt so gross wie in Wirklichkeit ist. Ein nicht perfekter Siebdruck auf verbogener Spanplatte lässt den Fund antik wirken. Der Hintergrund hat die grüne Pflanzenfarbe angenommen. Das erhellte Objekt wird zum Projektor fürs Interpretationskino. Das ist einfach gemacht, aber schon sind wir mittendrin in der aufregenden und verwirrenden Auseinandersetzung, die Tatjanas Arbeiten auslösen können.
Der Kaktus ist ein Symbol für Überlebensstrategie und Wehrhaftigkeit. Für einige steht er für Mexiko und Fernweh. Wieder andere essen ihn oder verschenken ihn als originelles Mitbringsel. Was ist mit dem Kaktus passiert? Müssen wir mit ihm traurig sein, dass er nicht eines natürlichen Todes gestorben ist, oder uns mit ihm freuen, dass er als Zwischenstation seines medialen Lebens unser Kunstherz befeuert?
Tatjana wie auch der Kaktus sind grossartige bildende und überlebende Künstlerin und Künstler. Wer am Schluss länger bleibt, hängt von uns ab. Bitte helft ihnen, am Leben zu bleiben, interpretiert sie, übersetzt sie, verbreitet sie, damit sie am Schluss wichtig werden und richtig überleben können. Liebe Tatjana, erklär uns bitte dich, dein Werk und deine Kunst.
Was ist dir wesentlich? Was bist du für ein Wesen?
Wesentlich ist für mich nicht die Oberfläche, die uns erscheint, sondern die Ursache, die eine Erscheinung hervorgebracht hat und die Rezeption, die bei den Betrachtenden ausgelöst wird.
Das Kaktusblatt interessiert mich als natürlich geformtes Objekt, das von der Pflanze abgetrennt und isoliert betrachtet wurde. Es wird zu einem Stellvertreter einer Pflanze oder Art. Mich interessieren die Sichtweisen der Betrachtenden, der Umgang mit unserer Umwelt.
Wie denkst du über Kommunikation? Warum ist das ein Thema für dich?
Kommunikation verstehe ich als Austausch, der zwei verschiedene Sichtweisen in Kontakt treten lässt. Dabei entstehen viele Missverständnisse, da Sichtweisen, Erfahrungen und Erinnerungen nie deckungsgleich sein können. Mich interessieren die Verschiebungen, das, was nicht deckungsgleich ist und neue Fragen aufwirft.
Was bedeuten Symbole für dich? Für welche Bedeutung möchtest du einmal stehen?
Mich interessieren individuell entstandene Symbole, die ausgehend von der eigenen Erfahrungswelt frei interpretiert und verwendet werden.
Wie entstehen deine Arbeiten?
Meine Arbeiten entstehen einerseits aus einer langjährigen Auseinandersetzung mit Realitätsbildung, Sichtweisen und Mikrogeschichten. Andererseits braucht es einen konkreten Impuls von aussen, der mein Interesse weckt, eine visuelle Umsetzung anzugehen – das kann ein Gespräch, ein Erlebnis oder auch eine Beobachtung sein.
Das Kaktusblatt neben dem Massstab interessierte mich, weil das Messen eine verbreitete Art ist zu beobachten. Wir sind das Vermessen und In-Zahlen-Fassen sehr gewohnt, Zahlen und Statistiken bilden in unserem Kulturkreis eine Vorstellung der Realität. Das Kaktusblatt ist formal ein mathematisches Objekt – und doch steht es im Widerspruch zum Massstab.
Wie wichtig ist dir, dass deine Kunst dich überdauert?
Wenn Kunst von mir irgendwo wertgeschätzt wird, freut mich das sehr. Einen Anspruch auf Unvergänglichkeit zu haben, finde ich absurd.