Lieber Manuel
Warum malst du so?
Schwer zu sagen. Die Vorliebe für das Konkrete und Räumliche war schon seit dem Kindergarten da. Alles Weitere hat sich unter unendlich vielen Einflüssen und Eindrücken nach und nach so entwickelt. Eine wichtige Rolle spielte das Studium in Leipzig, in dem die Naturbeobachtung (mehrere Tage der Woche waren fürs Aktzeichnen und Ähnliches reserviert) von grosser Bedeutung war und das insgesamt im Zeichen der damals sehr populären «Neuen Leipziger Schule» stand, bekannt für ihre immer gegenständlichen, oft düsteren und symbolisch aufgeladenen Bildwelten. Zu Letzteren fühlte ich mich am Anfang stark hingezogen, um mich später wieder von ihnen zu entfernen.
Die entscheidende Rolle dabei spielte mein Erasmus-Jahr in London, in dem ich Maler wie David Hockney und Ronald Brooks Kitaj, vor allem aber die italienische Frührenaissance in der National Gallery für mich entdeckte.
Ab da fing ich an, meine Bilder auf das zu reduzieren, was ich für das Wesentliche hielt, mich stärker auf den Körper und seine Ausdrucksformen und auf die Wirkung der Farben zu konzentrieren. Alles, was seither geschehen ist, geht in diese Richtung. Der, die oder das Dargestellte will immer weniger sagen, steht für mich aber immer mehr für sich und im Vordergrund.
In deinen «Bodybuilder» habe ich viel hineininterpretiert. Was war deine Intention zu dieser aufwühlenden Darstellung? Was passiert im Leben gerade mit dem «modernen» Mann? Wohin brechen wir auf?
Dem Bodybuilder ging die Idee voraus, eine Person zu malen, deren Körper sehr extrovertiert und «laut», die aber selbst völlig in sich versunken und abwesend erscheint – als wäre sich die Person der Aufmerksamkeit, die ihr Körper zwangsläufig auf sich zieht, nicht bewusst oder als wolle sie sich dahinter verstecken. Ich habe mich dann für den Körper eines Bodybuilders entschieden, also eines bewusst geformten Körpers, der gleichzeitig dermassen Klischee ist, dass es schwerfällt, den Menschen dahinter zu sehen.
Der muskulöse Körper steht für Potenz und Macht, dient aber auch als Schutzschild für ein zerbrechliches und verunsichertes Inneres. Im Grunde ist er ja tragischerweise immer beides zugleich, weil das Bild, für das er steht – den durch die harte physische Arbeit bewährten Mann – in den meisten Fällen überhaupt nicht mehr der Realität entspricht.
Der Körper ist in unserer Realität immer weniger von praktischer Bedeutung, weshalb das Bodybuilding etwas Nostalgisches und Trauriges hat und vielleicht für die Krise eines bestimmten Selbstverständnisses von Männlichkeit steht.
Was gerade im Leben mit dem «modernen» Mann geschieht, empfinde ich persönlich als befreiend, da ich mit dem traditionellen Bild von Männlichkeit nie klargekommen bin – und weder mit Männern noch mit Frauen, die von mir erwarteten, diesem Bild gerecht zu werden. Ich sehe aber auch, dass es mindestens so schwer sein kann, sich von Geschlechterrollen und ihren Imperativen zu lösen, wenn man in der Kindheit und in seinem Umfeld nichts anderes mitbekommen hat. Geschlechterrollen sind vor allem auch eine Frage von Bildung und Klasse, weil die Gesellschaft nicht allen die gleichen Alternativen, zum Beispiel zum klassischen Bild von Männlichkeit als etwas Sinnstiftendem, bietet.
Ich halte die aktuellen Debatten für sehr gut und wichtig, sie greifen in ihrer Schuldzuweisung aber oft zu kurz.
Wohin wir aufbrechen, weiss ich auch nicht, es bleibt aber auf jeden Fall noch viel zu tun.